Mini-One-Stop-Shop ... habt ihr sie noch alle?
Ab 2015 ändert sich die Behandlung der Umsatzsteuer bei Privatkunden im europäischen Ausland, was die Lieferung von elektronischen Gütern angeht. Bisher galt, dass der Anbieter in dem Land, in dem er sitzt, eben die Umsatzsteuer jenes Landes erhebt. Das bedeutet: Wenn ich mir bei Amazon ein MP3-Album kaufe, beinhaltet der Preis 15% luxemburgische Umsatzsteuer - und nicht etwa 19% deutsche Umsatzsteuer. Da Amazon für MP3s - die ausschließlich an Privatkunden verkauft werden - ohnehin keine Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer erstellt, fällt das kaum jemandem auf. Ein in Deutschland beheimateter MP3-Lieferant hingegen müsste 19% Umsatzsteuer berechnen, was logischerweise in höheren Endkundenpreisen resultiert. Für Unternehmen führt das dazu, dass es lukrativer sein kann, sich in einem Land anzusiedeln, das möglichst niedrige Umsatzsteuersätze hat.
Das soll sich nun also ändern, im Sinne der Steuergerechtigkeit.
Haufe.de zitiert dazu Algirdas Šemeta, für Steuern zuständiges Mitglied der EU-Kommission:
„Wir streben eine gerechte Besteuerung an, die die unternehmerische Tätigkeit erleichtert und den nationalen Haushalten solide Einnahmen beschert. Die nächstes Jahr in Kraft tretende Änderung der Mehrwertsteuervorschriften wird diesem Anspruch gerecht. Für die Unternehmen wird das System einfacher und gerechter, was insbesondere Start-ups und KMU ermutigen sollte, grenzüberschreitend zu expandieren. Die Mitgliedstaaten werden über ausgewogenere Besteuerungsrechte verfügen, wodurch der Steuerwettbewerb in der Europäischen Union fairer wird.“
Solide Einnahmen für die nationalen Haushalte - klar, das klingt plausibel. Inweit das allerdings “die unternehmerische Tätigkeit erleichtert”: Das ist mir völlig unklar. Zumindest für uns stellt das Verfahren eine erhebliche Verkomplizierung dar, denn derzeit ist es ganz simpel: Wir erfassen keinerlei Daten unserer User, auch nicht das Land, und wir führen von jeglichen Einnahmen 19% deutsche Umsatzsteuer ab. Ende der Geschichte.
Um nun künftig unsere Leistungen konform an User außerhalb Deutschlands anbieten zu können, müssten wir also damit anfangen, zumindest das Land zu erfassen, aus dem ein User kommt. Das macht mehr Arbeit als bisher. Wir brauchen dann eine Liste der Umsatzsteuersätze aller Länder, in denen wir unsere Leistungen anbieten - also aller Länder, denn wir beschränken das ja nicht künstlich. Und wir müssen vor allem tracken, wenn sich in irgendeinem dieser Länder mal der Umsatzsteuersatz ändert. Das macht noch viel mehr Arbeit. Dann müssen wir außerdem erfassen, ob ein User bei uns Privat- oder Geschäftskunde ist, denn die neue Regelung gilt nur für Privatkunden. Noch ein Datenfeld mehr, noch mehr Arbeit. Und schließlich müssen wir diese Informationen auch irgendwie mit unserem Steuerberater verknusen, der bisher schlicht nach DATEV-Kontoauszug verbucht und den Buchungen ja nicht ansehen kann, zu welchem Umsatzsteuersatz sie verbucht werden müssen. Und denkt man weiter, stapeln sich die Probleme nur so: Was ist, wenn ein User einen Account auflädt, der auf Österreich konfiguriert ist, und dann von dort aber das Guthaben auf einen Account umbucht, der auf Deutschland konfiguriert ist (aus welchen Gründen auch immer) - oder von einem privaten auf einen geschäftlichen Account oder umgekehrt?
Wo hier dann insofern die neue Besteuerung uns die Sache leichter machen soll - keine Ahnung. Primär zwingt sie uns zur Erfassung zusätzlicher Daten und zu einer wesentlich komplizierteren Verarbeitung mit wesentlich mehr Fallstricken. Wir haben hierfür inzwischen mit mehreren Sachkundigen gesprochen und mögliche Vorgehensweisen beraten. Und die, die sich im Moment am, äh, “charmantesten” darstellt, ist die, die wir intern gerne “Diskriminierung 2.0, made in EU” nennen: Wir bieten unsere Dienste dann eben nur noch in Deutschland an und lassen uns bei der Anmeldung ggf. per Klick auf eine Checkbox vom User bestätigen, dass er aus Deutschland kommt. Wie ein befreundeter Steuerberater, den wir hier aus naheliegenden Gründen nicht namentlich nennen wollen, trocken dazu bemerkte: “Dann müssen die User aus dem Ausland halt diese Checkbox anklicken. Ihr könnt ja nicht wissen, ob die lügen, und das ist dann ja auch nicht euer Problem. Und den Usern selbst ist das ja völlig schnuppe. Die müssen ja so oder so den Bruttopreis zahlen.”
Wie es aussieht, gibt es dazu auch nicht wirklich viele praktikable Alternativen. Bei allem Verständnis für internationale Steuergerechtigkeit und dafür, dass es nicht so super ist, wenn Länder mit niedrigen Steuersätzen darum konkurrieren “müssen”, wo sich denn ein Riese wie Amazon nun niederlässt: Es ist ja nicht so, dass wir hier in Deutschland einen Briefkasten als Firmensitz hingestellt hätten, weil davon profitieren wollen, dass es hier nur 19% Umsatzsteuer zu zahlen gilt, und nicht z.B. die 25% von Schweden. Unser Sitz ist in Deutschland, weil hier unsere Mitarbeiter leben und arbeiten, weil hier unsere Server stehen, weil hier unsere Lieferanten sitzen, weil unsere Hosting-Leistung insofern hier erbracht wird. Und wir zahlen gerne in diesem unseren Land Steuern - es ist ja nicht so, dass wir uns dem entziehen wollten (und auch nicht so, dass der deutsche Umsatzsteuersatz besonders niedrig wäre *hust*). Aber dieser Riesen-Aufriss - muss das wirklich sein? Für nicht mal 1% User, die nicht aus Deutschland kommen, wo wir nun mal unseren Sitz haben? Natürlich gibt es auch die Variante “Augen zu und durch”, also einfach so weitermachen wie bisher, und darauf zu vertrauen, dass niemand meckert. Als tragfähige Basis erscheint mir das aber nicht. Wir müssen also entweder einen wahnsinnigen Wasserkopf zur korrekten steuerlichen Behandlung ab 2015 einführen (wobei noch in den Sternen steht, wie wir dann die zigtausend Bestandsuser behandeln, von denen wir keine Daten haben und sie ja nun auch nicht zwingen können, uns im Nachhinein noch ihr Land und ihren Status als Privat- oder Geschäftskunde preiszugeben), oder wir müssen uns auf Glatteis begeben, oder wir müssen halt zu unserer eigenen Sicherheit knallhart sagen: Unser Angebot richtet sich nur an Deutsche, und Auslandsuser können es eben nur dann nutzen, wenn sie uns diesbezüglich anlügen. Keins davon ist eine wirklich erfreuliche Perspektive, und entschieden sind wir bezüglich des Vorgehens noch nicht.
(Übrigens, falls ihr’s nicht wusstet: Die ständige Frage “Zum Hieressen oder Mitnehmen?” beim favorisierten Burgerbrater hat auch nur am Rande was damit zu tun, ob das Essen in eine Tüte gestopft werden soll oder nicht. Sondern es geht darum, dass im Restaurant verzehrtes Essen mit 19% besteuert wird; Essen zur Mitnahme aber nur zu 7%. Da die Burger - in Deutschland - immer zum gleichen Preis verkauft werden, verdienen die Burgerbrater an Essen zum Mitnehmen insofern deutlich mehr. In anderen Ländern ist es übrigens deutlich verbreiteter, auch tatsächlich unterschiedliche Preise für Eat-In und Take-Away anzugeben. Ich warte angesichts der Umsatzsteuerentwicklung schon gespannt darauf, ob ich künftig an der Eisdiele sagen muss, ob ich Einheimischer bin oder aus dem Ausland komme, und ob mir als Deutschem im Italienurlaub für die Kugel Eis dann deutsche Umsatzsteuer berechnet werden muss.)