Über Zugfahren in Europa

Posted by jonas on Thursday, September 12, 2019

Jeder Mensch braucht mal Urlaub, so auch ich. Und so zieht es mich dieses Jahr nach Lissabon. Pastel de Nata, ein Besuch von Quinta da Regaleira … die Stadt und die Region haben es mir einfach angetan. Und wie so oft beginnt Reisen mit Recherche: Wie komme ich dahin - mit dem Zug? Das Ergebnis ist ein Hilferuf an Europa, das uns ja nun schon Reisefreiheit, eine praktische gemeinsame Währung und kostenloses Roaming verschafft hat. Aber vernünftig Zug fahren durch Europa, abseits der direkten Nachbarmetropolen: Das kann so nicht bleiben. Ein Rant.

Ich liebe Zugfahren. Doch, ganz ehrlich. Das heißt nicht, dass ich alles super fände; auch ich bin genervt von kaputten Toiletten, Verspätungen, ausgefallenen Reservierungsanzeigen und umgekehrter Wagenreihung. Da muss ich nichts schönreden; Vieles könnte besser sein. Aber im Großen und Ganzen bringt mich die Bahn in den meisten Fällen dahin wo ich will, und in den meisten Fällen auch in akzeptabler Zeit. Und wenn das mal nicht klappt, denke ich mir: Herrje, auch mit einem Auto könnte ich eine Panne haben oder im Stau stehen. Das wäre dann auch nicht besser. So oder so: Dass ich die Bahn liebe, ist keine Vernunftentscheidung. Ich find’s meistens wirklich schön. Wer je mit dem Intercity durch’s Mittelrheintal gefahren ist, bei Sonnenaufgang auf die Loreley geschaut hat und dabei ein warmes Croissant geknuspert hat, wird mir da vermutlich beipflichten. Ich liebe auch das Reisen an sich, also nicht nur das Ankommen, sondern auch die Fahrt.

Dank meiner vielen berufsbedingten Reisen rechnet sich für mich eine BahnCard 100, die für mich “mein Auto” darstellt, und als ich sie mir erstmals leisten konnte, habe ich sie - wie auch heute noch - als größtes Privileg empfunden. Zugegeben, sie trägt maßgeblich zu einem positiveren Bahnerlebnis bei, als es der Gelegenheitsfahrer erleben mag: Kein lästiger Buchungsprozess, keine Zugbindung, in vielen Städten ÖPNV inklusive und man wird schon auch ein bisschen betüddelt mit Loungezugang und ein paar gelegentlichen Extra-Gutscheinen.

Nun fahre ich nicht nur in Deutschland gerne Bahn. Auch wenn es mich in irgendein anderes Land verschlägt, versuche ich nach Möglichkeit, den Zug zu nutzen, zur Anreise und/oder auch vor Ort - nicht nur wegen meines Klimagewissens, sondern weil ich vor allem neugierig bin und es eine wunderbare Art finde, Strecken und Ziele zu erkunden.

Direkte Nachbarmetropolen? Easy.

Meinen Kollegen luto in Wien besuchen? Es gibt einen Nachtzug, den ich daheim in Mainz besteigen kann und mit dem ich morgens ausgeschlafen in Wien eintreffe. Der ist von der ÖBB betrieben, die das Nachtzuggeschäft der DB einstmals übernommen hatte. Kein Umstieg, Kostenpunkt in der Regel unter 49-69 Euro im Liegewagen, und ich habe direkt den Ankunftstag praktisch komplett in Wien. Ich habe luto ein bisschen damit angesteckt - auch seine umgekehrten Besuche bei den Entwicklerkollegen in Deutschland werden per Nachtzug realisiert.

Oder mal ein Besuch in London? ICE nach Brüssel, mit dem Eurostar durch den Tunnel und in wenigen Stunden entspannt mitten in der Stadt angekommen, je nach Buchungsklasse mit warmer Mahlzeit im Zug. Ich find’s großartig und hoffe, dass diese Möglichkeit, Brexit hin oder her, erhalten bleibt. Dass der Zug die klimafreundlichere Variante als der Flug ist, ist ein netter Nebeneffekt, aber ich finde es eben auch einfach bequemer, schöner und entspannter.

Die Strecke nach London ist allerdings in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme. Der Eurostar gehört zum Railteam, einem Zusammenschluss europäischer Hochgeschwindigkeitsbahnen, zu dem auch die DB gehört. Ich kann also problemlos eine Fahrkarte von Mainz nach London buchen - aber, und da fängt das Ärgernis an, nur nach London. Will ich in eine andere Stadt auf der Insel, brauche ich ein weiteres Ticket eines anderen britischen Eisenbahnunternehmens.

Und damit eröffnet sich das Kapitel, das für mich mit großer Unzufriedenheit verbunden ist. Denn ich möchte zum Urlaub ja nicht nach London, sondern nach Lissabon.

rail.cc, der Fernwehgenerator

Wenn man keine Ahnung hat, wie man irgendwo auf der Welt mit dem Zug hin kommt, ist rail.cc meine liebste Anlaufstelle. Das ist eine Zug-Informations-Website, die von Bahn-Enthusiasten betrieben wird. Man kann dort keine Tickets kaufen, aber wollte ich beispielsweise von Mainz in die mit Mainz befreundete Stadt Baku in Aserbaidschan reisen, so wüsste rail.cc bereits, dass ich dazu entweder über Berlin und Moskau reisen müsste, oder durch Polen und die Ukraine, oder - die vermutlich spannenste Strecke - durch Ungarn, Rumänien, Türkei und Georgien. Samt Beschreibung, wie man von Kars in der Türkei nach Batumi in Georgien reist und dabei den Grenzübertritt meistert. Auf rail.cc zu schmökern, ist nicht nur praktisch und hoch informativ, es macht auch ordentlich Fernweh.

Nach Lissabon zu kommen, ist eigentlich recht einfach: Im ersten Abschnitt von Mainz nach Paris, im zweiten Abschnitt von Paris zum französisch-spanischen Grenzbahnhof Hendaye, und von dort, im dritten Abschnitt, startet er: Der legendäre Nachtzug nach Lissabon, heute bekannt als Trenhotel 313.

Als alter Bahnfuchs bin ich natürlich nicht so blauäugig, einfach auf bahn.de zu gehen, “Mainz” und “Lissabon” einzugeben und das Beste zu hoffen: Da ist schon abzusehen, dass mich überall ein “Preisauskunft nicht möglich” begrüßen wird.

(Ganz davon abgesehen ist es bis heute nicht möglich, auf bahn.de - oder im DB Navigator - auf einer Strecke ins Ausland die BahnCard 100 so anzugeben, dass der deutsche Streckenabschnitt nicht berechnet wird - das funktioniert nur am Automaten oder im Reisezentrum. Die BahnCard 100 gibt es übrigens seit 2003, also seit 16 Jahren, als Nachfolger der früheren persönlichen Netzcard, die es seit… anno dazumal gibt. Da habe ich noch nicht gelebt. Dass es bis heute nicht möglich ist, online bei der DB ein Ticket mit lediglich ausländischem Streckenanteil zu buchen, ist mir ein Rätsel. Will ich beispielsweise in die Niederlande reisen, so buche ich mein Ticket bei der niederländischen Bahn - da kann ich die BahnCard 100 nämlich als Rabattkarte angeben und zahle dann nur den niederländischen Streckenanteil. Aber das nur am Rande.)

Tickets buchen

Wo also buchen, wenn man über Ländergrenzen hinweg reisen will? An Portalen dafür mangelt es nicht. Trainline ist recht beliebt, omio (früher go euro) ebenfalls eine Alternative, und auch über Gleisnost als menschlicher Buchungsagentur höre ich nur Gutes. Aber egal, worüber man bucht: Es entsteht dabei nicht das, was unter dem schönen Begriff der “Reisekette” bekannt ist. Mit der hat man unter Umständen auch schon in Deutschland zu tun: Würde beispielsweise ein Mainzer Student einen ICE von Frankfurt nach Berlin mit Zugbindung buchen und dann aber die Strecke von Mainz nach Frankfurt mit seinem Semesterticket absolvieren, und genau diese Regionalverbindung fällt dann aber aus oder ist zu spät und der ICE ist weg, dann heißt es: Pech gehabt. Das Ticket galt von Frankfurt nach Berlin, und er war nicht rechtzeitig zur Abfahrtszeit in Frankfurt.

Und da beginnt dann die Crux: Ich kann zwar die Verbindung von Mainz nach Lissabon bei Trainline buchen, so weit, so gut. Ich bekomme dann aber ein DB-Ticket von Mainz nach Paris, ein SNCF-Ticket von Paris nach Hendaye sowie ein renfe-Ticket von Hendaye nach Lissabon (was ohnehin ein bisschen amüsant ist, weil renfe die spanische Eisenbahngesellschaft ist, aber weder Hendaye noch Lissabon in Spanien liegen, sondern nur der Großteil der Strecke dazwischen). Ich habe im Ergebnis also keine zusammenhängende Reisekette. Aber das stellen wir mal für einen Moment zurück und schauen auf’s Geld.

Money, money, money

Die Strecke nach Paris gibt’s im günstigsten Fall für 39,90 Euro - Super Sparpreis Europa. Der Preis hat dann eben alle Schikanen, die man so abgreifen kann: Zugbindung natürlich, kein Cityticket, kein Umtausch, keine Stornierung. Auf dem Papier soll’s den Super Sparpreis Europa auch schon für 29,90 Euro geben, aber den habe ich in der Praxis nicht finden können. Vielleicht gibt’s den auch nur bei kürzeren Relationen, wer weiß - wie das eben so ist bei “ab”-Preisen.

Von Paris nach Hendaye geht’s mit einem durchgehenden TGV. Hier liegt der günstigste Preis, den ich finden konnte, bei 25 Euro - mit viel, viel, viel Glück und ausreichend langer Vorausbuchung; der Tarif war auffindbar, aber Stand heute (September) frühestens im Dezember. Immerhin: Vor Abfahrt ist diese Fahrkarte gegen Gebühr sogar umbuchbar und stornierbar. (Bei einer Umbuchung ist natürlich ggf. Aufpreis zu zahlen.)

Und schließlich dann: Der Nachtzug nach Lissabon. Der startet gemütlich abends um 18:35 in Hendaye und kommt morgens um 7:30 Uhr in Lissabon am Bahnhof Santa Apolonia an. Regulär kostet diese Verbindung 71,50 Euro im Sitzwagen bzw. 95,50 Euro im Liegewagen; ich konnte aber tatsächlich einen an wenigen Tagen verfügbaren Promo-Preis von 57,30 Euro für den Liegewagen finden. Das dann natürlich mit Zugbindung, keine freie Platzwahl, keine Umbuchung, keine Stornierung.

Schauen wir also kurz auf unsere Reisekasse, so stehen wir jetzt bei 122,20 Euro - ausschließlich für die Hinfahrt, versteht sich. Rückfahrt inklusive liegen wir dann also bei 244,40 Euro. Das ist dabei, wohlgemerkt, ein vollkommen fiktiver Preis: Dass man unmittelbar aufeinanderfolgend einen Super Sparpreis Europa und ein 25-Euro-Ticket der SNCF und den Promo-Preis für den Nachtzug nach Lissabon bekommt, dürfte wohl praktisch ausgeschlossen sein. Schon auf zwei von drei Strecken einen günstigen Preis zu erwischen, erscheint einigermaßen unwahrscheinlich.

Die Reisedauer liegt dabei bei rund einem Tag, genauer gesagt 26 Stunden: Um 6:29 Uhr geht’s in Mainz los, in Paris ist man am frühen Mittag und hat dort zwei Stunden totzuschlagen (und nebenbei von einem Bahnhof zum anderen zu wechseln), und in Hendaye hat man am frühen Abend dann auch nochmal eine Stunde Umstiegszeit. Ankunft 7:30 Uhr. (Die verbliebene Stunde Differenz entfällt auf die eine Stunde Zeitverschiebung.) Schon klar: Schnell ist das nicht, aber das war auch nicht meine Anforderung. Wie gesagt, ich komme nicht nur gerne an, sondern ich reise auch gerne. Einen kompletten Tag in Zügen zu verbringen stellt für mich kein Hindernis dar, sondern ist eher ein Grund für kribbelnde Vorfreude.

Preisvergleich: Vom bei Mainz um die Ecke gelegenenen Frankfurter Flughafen aus ist es geradezu trivial, für unter 200 Euro nach Lissabon und zurück zu fliegen, teilweise schon für Beträge von nur knapp über 100 Euro. Das sind in diesem Fall nicht die speziellsten Spezialtarife, sondern eher die Regel, wenn man jetzt nicht an ganz bestimmte Uhrzeiten oder Gesellschaften gebunden ist und seinen Reisetag vielleicht um +/- einen Tag variieren kann. Die Reise per Zug kostet also Pi mal Daumen das Doppelte - im unrealistisch günstigsten Fall. Behalten wir das mal im Hinterkopf.

Hätte, hätte, Reisekette

Wer schon einmal Zug gefahren ist, der weiß: Eine richtig heftige Verspätung von mehr als nur ein paar Minuten ist überhaupt keine Seltenheit. Mit dem Intercity nach einem Besuch beim Kollegen Mic in Düsseldorf die Rheinstrecke entlang nach Mainz, und kurz vor Koblenz gibt’s einen Personenschaden? Tja, dann heißt es zurück bis Köln, über die dortige Südbrücke und mit 80 km/h über die Güterstrecke auf der anderen Rheinseite. Ein, zwei Stunden Verspätungen kommen da easy bei raus. Auf meiner letzten Auslandszugfahrt von Mannheim nach Marseille war gerade die Schnellstrecke um Lyon gesperrt. Zugumleitung, 80 Minuten Verspätung am Zielort. Gar nicht zu reden von dem ICE aus Berlin, in dem ich einstmals saß: Nicht nur, dass der Sturm einen Baum entwurzelt hatte und ihn auf die Oberleitung fallen ließ - wir fuhren da auch noch direkt rein und haben die Oberleitung abgerissen. Evakuierung durch das THW, mit Gepäck nachts im Regen durch den Wald wandern - eine Geschichte für die Neffen und Nichten am Kamin. Gut, das ist selten. Aber Verspätungen von einer Stunde oder mehr, oder auch einfach ein kompletter Zugausfall: Das kommt schon nicht nur einmal im Leben vor. “Oft” wäre übertrieben, aber oft genug, dass man es realistisch einkalkulieren muss.

Und damit kommen wir zurück zur Reisekette. Wenn’s nämlich mit der Verbindung nach Paris zu Problemen kommt und ich den TGV nach Hendaye nicht mehr kriege, dann ist das mein Pech. Die SNFC wird mir nämlich sagen: Ja sorry, sie waren halt nicht pünktlich in Paris am Bahnhof. Ist ja nicht unser Problem, dass sie vorher mit der DB gefahren sind.

Okay, vielleicht etwas zu dramatisch: In der Praxis kooperieren DB und SNCF sehr gut und sind ja auch beide Mitglied im Railteam. Man kann daher schon auf eine gewisse Kulanz spekulieren. Aber, und das ist der springende Punkt: Einen Anspruch darauf gibt es nicht. Und das macht ein Problem, von dem ich finde, dass es das Problem der Eisenbahnunternehmen sein sollte, zu meinem eigenen Problem.

TGVs zwischen Paris und Hendaye fahren viele. Mit etwas Kulanz kommt man da also vielleicht durchaus weiter, nur eben ein bisschen später. Dann aber dann geht es um den Nachtzug. Nachtzüge sind aus naheliegenden Gründen reservierungspflichtig, denn niemand möchte in einen Nachtzug steigen, in dem er dann vielleicht keine Schlafgelegenheit hat. Das heißt aber auch in der Folge: Wenn man den verpasst, muss man erstens 24h auf den nächsten warten - hat also eine zusätzliche Hotelübernachtung auf der Rechnung. Und im nächsten Zug ist dann vielleicht - ach was: wahrscheinlich! - gar kein Bett frei. Auch den Nachtzug von Mainz nach Wien sollte man besser einige Wochen im Voraus buchen; kurzfristig ist da nichts zu wollen: In der Regel ist er ausgebucht.

Dann vielleicht Interrail?

Interrail ist schon lange kein Angebot ausschließlich für Jugendliche mehr - auch Erwachsene können (zu einem etwas höheren Preis) die beliebten Tickets erwerben, mit denen Zugreisen gemäß eigenem Selbstverständnis nicht nur günstig, sondern vor allem auch flexibel und spontan ist. In der Theorie ist das auch so: Ich trage die vor mir liegende Strecke in mein Reisetagebuch ein, trage den Tag als “Reisetag” auf meinem Ticket sein und steige einfach ein.

In der Praxis stehen dem aber Reservierungspflichten insbesondere in Hochgeschwindigkeitszügen entgegen: Kann man einen deutschen ICE noch ohne Platzreservierung nutzen, so ist sie im französischen TGV bereits obligatorisch und kostet dort nicht einfach knapp 5 Euro wie in Deutschland, sondern je nach Verbindung einen mittleren zweistelligen Betrag als Aufpreis zum Interrail-Ticket, den man normalerweise so nicht wahrnimmt, weil die SNCF reguläre Tickets für den TGV immer inklusive Platzreservierung verkauft. Und kommt man schließlich beim stets voll gebuchten Nachtzug an, ist klar, dass es mit spontaner Zugwahl einfach nicht funktionieren kann. Zusätzlich trägt eine Reservierung im Liege- oder gar Schlafwagen schnell ein Preisschild von 40 Euro aufwärts. Rechnet man das mal komplett durch, liegt man schnell bei einem vergleichbaren Preis, als wenn man einzelne Fahrkarten gekauft hätte - und hat durch die obligatorischen Platzreservierungen ebenfalls eine Art Zugbindung an der Backe.

Davon abgesehen verschafft mir auch das Interrail-Ticket keine Reisekette und damit auch keine brauchbaren Fahrgastrechte. Und selbst wenn wir mal die Reservierungspflicht außen vor lassen: Die Reisetage eines Interrail-Tickets sind nun mal begrenzt. Habe ich zum Beispiel eins für drei Reisetage und verwende den ersten, um morgens um 6:29 Uhr in Mainz loszufahren und abends in den Nachtzug zu steigen, so brauche ich gemäß der Interrail-Nachtzug-Regeln keinen zweiten Reisetag zu verbrauchen, weil ich am zweiten Reisetag sozusagen nur noch ankomme, aber keinen neuen Zug mehr besteige. Auf der Rückfahrt geht das nicht: Den zweiten Reisetag des Tickets muss ich für den abendlichen Einstieg im Nachtzug entwerten, und den dritten Reisetag dann für die Verbindungen ab Hendaye und Paris. Habe ich also planungsmäßig knapp auf Kante gerechnet und mir den Pass mit drei Reisetagen gebucht und es geht bei den Anschlüssen etwas schief, dann kann ich nicht einfach einen Tag später reisen, denn mein Ticket hat ja keinen weiteren Reisetag mehr übrig. Und Fahrgastrechte kann ich mir an dieser Stelle in die Haare schmieren. Eine spontane Buchung für den TGV von Hendaye nach Paris werde ich jedenfalls kaum für 25 Euro kriegen. Eher für 49 Euro. Oder 76 Euro. Je nach Pech-Level. Und auch einen Super Sparpreis Europa werde ich so spontan nicht kriegen.

Das kann so nicht bleiben

Das waren noch Zeiten, als ich mit Freunden mit dem Nachtzug bis nach Kopenhagen fahren konnte, um dort morgens bei Sonnenschein und dänischen Plunderteilchen in den Bahnhof einzufahren. Inzwischen ist ein Umstieg in Hamburg obligatorisch und damit das frühere Erlebnis passé.

Der Niedergang des Nachtzugs ist eigentlich kein böser Wille gewesen: Unsere Züge sind schlicht zu schnell geworden. Wenn man über die Trasse des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit 8 in gerade mal rund vier Stunden von München bis Berlin reisen kann, ergibt es logischerweise nicht mehr viel Sinn, sich in dieser Zeit in die Horizontale begeben zu wollen. Nicht ohne Grund sind die meisten verbliebenen europäischen Nachtzüge grenzüberschreitend und nicht mehr rein national.

Die Medien beschwören in der aktuellen Klimadebatte daher nun eine Renaissance des Nachtzugs und viele Länder haben angekündigt, entsprechende Verbindungen auszubauen. Ich fände das sehr wünschenswert. (Deutschland sieht da nach wie vor keinen Markt - und es muss ja heutzutage immer um den Markt gehen und nicht etwa darum, ernsthaft etwas dafür zu tun, dass Europa zusammenwächst).

Woran es aber immer noch mangelt, ist die Möglichkeit, europaweite Relationen als zusammenhänge Reisekette zu buchen - mit entsprechenden Fahrgastrechten in der Konsequenz: Aufheben von Zugbindungen, Weitertransport im nächstmöglichen Zug, ggf. in einer höherwertigen Klasse ohne Aufpreis, Verpflegung, wo nötig Übernachtung, finanzielle Entschädigungen. Also so, wie man das vom Flugreisen her kennt.

Das ist der Punkt, an dem ich vom Status Quo aufrichtig enttäuscht bin: Nicht nur, dass Zugfahren durch Europa teurer ist als Fliegen, und zwar nicht nur ein bisschen, sondern erheblich teurer. Nicht nur, dass es länger dauert als Fliegen, und zwar nicht nur ein bisschen, sondern erheblich länger. Nein, vor allem wurmt mich, dass bei einem Flug, der signifikant zu spät kommt, meine Reisekasse klingelt oder ich auf eine Business Class hochgebucht werde oder ein Hotel spendiert kriege und ich auf jeden Fall den Eindruck habe, dass die Fluggesellschaft alle Hebel in Bewegung setzt, mich so gut es geht zum Ziel zu bringen und mir als Entschuldigung noch Geld hinterher zu werfen.

Reise ich hingegen mit der Bahn, reise ich riskant: Ohne durchgehende Reisekette wirft mir nicht nur niemand Entschädigungsgeld hinterher, sondern ich stehe vielmehr an dem Punkt, an dem die Verbindung kracht, dumm in der Gegend rum, kann mir meine zuggebundenen Folgetickets ersatzlos in die Haare schmieren und habe für eine Weiterreise mit Mehrkosten zu kämpfen, die den ursprünglichen Reisepreis um ein Vielfaches übersteigen können, je nachdem wie ungünstig die Reisekette bricht.

Ganz ernsthaft, ich kann viele Lanzen für die Bahn brechen und gerade Autofahrern in säuselndem Singsang von der Möglichkeit, ein Schläfchen zu halten, vorschwärmen, von der Möglichkeit, sich auf der Fahrt die Beine zu vertreten, einen Kaffee aus der Porzellantasse bei 300 km/h zu trinken, mit dem Junior Gesellschaftsspiele zu spielen oder sich ein Feierabendbier zu gönnen, ohne sich um Fahrtauglichkeit sorgen zu müssen. Klar, die Argumente packen nicht jeden, aber Einige schon. Ich bin da kein Missionar; ich lebe einfach nur zufriedenes Bahnfahren vor, und das ist manchmal schon genug, um andere neugierig zu machen.

Aber mit der Bahn über eine längere Strecke in ein anderes, europäisches Land zu reisen, in eine Stadt abseits der paar Metropolen, die mit dem Railteam erreichbar sind? Das kann ich niemandem empfehlen, der nicht vollkommen schmerzgeil und mit einem dicken Notfallgeldbeutel gesegnet ist. An diesem Punkt schäme ich mich für “meine” Bahn, für “meine” EU. Es gibt zwar ein Kulanzabkommen namens Agreement on Journey Continuation und die Bahn formuliert so nett:

In den meisten Fällen sind die Eisenbahnverkehrsunternehmen untereinander in diesem Fall kulant und befördern Sie auch in einem alternativen Zug ohne Mehrkosten

Allerdings ist Kulanz etwas anderes als Fahrgastrechte, und außerdem nehmen daran bei weitem nicht alle europäischen Bahnen teil - beispielsweise ist die ÖBB mit ihrem Nightjet aus dem Abkommen ausgestiegen.

Selbsterkenntnis …

Erkannt ist das Problem sehr wohl, schreibt doch die DB selbst in ihrem Kundenforum:

Bei den Fahrgastrechten im internationalen Eisenbahnverkehr steht, dass jede Fahrkarte einen eigenen Beförderungsvertrag darstellt. Die internationalen Fahrgastrechte sind ja unabhängig von der Buchungsplattform. Einseitige Regelungen eines EVUs nutzen hier auch nichts. Hier müssen dann alle beteiligten EVUs zu einer Vereinbarung kommen.

Ja! Genau!

Ersetze “EVU” (Eisenbahnverkehrsunternehmen) durch “Mobilfunkprovider” und “Beförderungsvertrag” durch “Mobilfunkvertrag” und wir haben gesehen, was plötzlich möglich wird, wenn die EU es will: Wir alle können nach Belieben in europäische Länder reisen, unsere Flatrates mitnehmen, surfen wie gewohnt, und im Fall des StreamOn-Angebots der Telekom inzwischen auch europaweit ohne Traffickosten netflixen und youtuben (dass das wiederum ein Fall für die Netzneutralität ist, steht auf einem anderen Blatt).

… der noch Taten folgen müssen

Wenn die EU ernsthaft auch Leute aus den Fliegern holen und auf die Schiene bringen will, braucht es vielleicht auch hier mal eine Ansage aus Brüssel: Die europaweite Reisekette muss kommen. Zugfahren ist schon vom Kosten- und Zeitaspekt her hart im Nachteil gegenüber dem Flugzeug, und auch wenn sich am Zeitaspekt nicht so schnell etwas ändern wird (am Kostenaspekt langsam vielleicht schon): Europaweite Fahrgastrechte auf Basis einer durchgehenden Reisekette halte ich für unabdingbar, und wir können nicht darauf warten, dass die nationalen EVUs da von alleine drauf kommen. Nationale EVUs haben letztlich auch primär nationale Interessen. Für die europaweiten Interessen hingegen brauchen wir die EU und einen klaren Willen, für Reisen auf der Schiene in Europa akzeptable Bedingungen zu schaffen.